Oekumenischer CSD-Gottesdienst der schwul-lesbischen Szene in Muenchen

 

Vielfalt: Gottes erste Wahl

Predigt 2013

von Stadtdekanin Barbara Kittelberger, evangelisch-lutherisches Dekanat München

Genesis 1, Verse 1+26-38+31a

Liebe Schwestern und Brüder,
Das Leben ist schön. So können wir heute aus vollem Herzen einstimmen in das vielstimmige Feiern und die ausgelassene Stimmung. Unsere Stadt ist voll bunten Lebens. Die gay pride parade gehört seit vielen Jahren zum Stadtbild, zum Genießen für Lesben und Schwule und zum Bestaunen für Bürgerinnen und Bürger. Das war nicht immer so. In diesem Jahr gedenken wir zahlreicher Ereignisse, aus der dunklen und beschämenden Geschichte unseres Landes und unseres Volkes.

Vor 80 Jahren, am 22. März 1933 wurde das Konzentrationslager Dachau als erstes Konzentrationslager eröffnet. Schon 1933, verstärkt ab 1940, wurden Homosexuelle verfolgt. 585 namentlich bekannte Häftlinge, die als Homosexuelle registriert wurden, waren in Dachau interniert. 120 von ihnen starben in Dachau und den Außenlagern.

TOTGESCHLAGEN-TOTGESCHWIEGEN, so lesen wir es auf dem Gedenkstein für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Lange Zeit waren die homosexuellen Opfer im Bundesentschädigungsgesetz vom Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen. Bis zur Abschaffung des § 175 wurden Männer und Frauen kriminalisiert, angeprangert und an den Rand der Gesellschaft gestellt.

Heute - 80 Jahre später- können wir gemeinsam das Leben in aller Vielfalt feiern. Das Leben ist schön. Ja, heute können wir es im Großen und Ganzen bejahen. Viele gesetzliche Vorgaben sind im Fluss. Das Wort Gleichberechtigung gewinnt in jeder Hinsicht Gestalt und hat auch die Haltung der evangelischen Kirche in Bezug auf eingetragene Partnerschaften und Segnungen verändert. Gesetze sind das Eine. Das Gesetzbuch regelt und ordnet das gesellschaftliche Leben. Die Beziehungen und das Zusammenleben werden aber vor allem durch eine Haltung des Respekt und der Achtung gefüllt und lebendig. Ein Blick in die Bibel lässt weitersehen und eröffnet einen neuen Horizont. Die Lesung aus dem 1. Buch Mose Kapitel 1, Vers 28 ff steckt den Rahmen für Beziehungen und Wertschätzung.

Alles ist sehr gut. Eine wunderbare Botschaft. Eine Liebeserklärung Gottes; ein Wort für besondere Stunden. Alles ist sehr gut. So beschenken wir einander in einem intimen Moment der Umarmung und des zärtlichen Flüsterns.

Gott sah alles an, was er gemacht hatte und siehe es war sehr gut. Ein zärtlicher, liebevoller Gott mit einem menschlichen Gesicht redet und gestaltet die Erde, unsere Welt. Das ist umwerfend, einmalig und hat Konsequenzen. Denn, Du und Du, und Sie und ich, wir alle sind Söhne und Töchter Gottes. Einmalig und unverwechselbar. Jede und jeder hat seine und ihre eigenen Begabungen und Besonderheiten. Jede und jeder hat seine und ihre individuelle Lebensgeschichte, sein und ihr Coming out, eigene große und kleine Dramen. So verschieden, wie wir sind, haben wir doch viele Gemeinsamkeiten. Wir werden mit den liebevollen Augen Gottes angesehen -so wie der Geliebte und die Geliebte einen sehen und erkennen.

Alles wird gut, bedeutet nicht: zuerst muss diese und jene Bedingung erfüllt sein; oder: wenn du so und so wirst, dann kann ich mit dir reden und deine Lebensweise anerkennen; oder gar die immer wiederkehrende Unterscheidung zwischen dem Lesbisch sein und dem Schwul sein an sich und der aktiven und lebendigen Beziehung, die man dann bitte nicht leben sollte.

Das ist un-würdig und entspricht nicht dem Willen Gottes.

Gott schenkt uns Leben in Fülle. Er hat uns mit unserer Sexualität geschaffen und will, dass wir in Achtung und Liebe, Fürsorge und Treue zueinander stehen. Diese bedingungslose Ansage und grenzenlose Zusage steht über unserem Leben.

Und Gott sah an, alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut.

Gott hat im ersten Schöpfungsbericht den Menschen am Ende erschaffen, er stattet ihn mit Verantwortung füreinander und für die Mitwelt aus.

Darüber kann und muss man nicht streiten. In der neuen Orientierungshilfe der EKD mit dem Titel „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit“ lesen wir: „Die den Kindern Gottes zugesagte gleiche Würde jeder und jedes Einzelnen jenseits von Geschlecht und Herkommen, die erfahrbare Gemeinschaft in Christus in aller Unterschiedlichkeit fordert die vorfindliche Ordnungen immer neu heraus“. Dies bedeutet, Gottes liebevolle Blicke sind ebenso auf Patchworkfamilien und Regenbogenfamilien gerichtet ist , so dass die Buntheit des menschlichen Zusammenlebens in unseren Kirchen einen Platz hat. Die vorfindlichen

Ordnungen werden herausgefordert. Mit Luft zum Atmen, mit liebenden Augen und offenen Ohren begegnen wir einander auf Augenhöhe. Gewiss ist das für manche Schwestern und Brüder eine Herausforderung. Aber ist es nicht auch eine Herausforderung, wieder und wieder die eigene Lebenssituation erklären zu müssen ?

Deshalb gilt ohne Wenn und Aber:

Jeder Mensch ist Gottes erste Wahl. Vielfalt ist ein Geschenk, das wir nicht leichtfertig verschleudern dürfen. Vielfalt ist ein Reichtum, ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Liebe Schwestern und Brüder,

lasst uns deshalb aufrecht gehen, denn Gott hat uns berührt. Er hat uns aufgerichtet und will, dass wir ohne Verkrümmung und ohne falsche Scham leben. So begegnen wir einander auf Augenhöhe. Wir teilen Gemeinschaft, Freude und Leid.

Lasst uns selbstbewusst und deutlich erkennbar unser aller Leben gestalten. Wir gestalten diese unsere gemeinsame Kirche, in der die Gleichheit aller am Tisch des Herrn konstitutiv ist und sein muss. Wir teilen unseren Glauben, und bereichern einander.

Lasst uns frei, befreit und erlöst den neuen Tag begrüßen. Wir genießen die Lebendigkeit, die Zärtlichkeit und Sexualität, die uns Gott geschenkt hat.

Lasst uns in Respekt und Achtung vor dem Leben des anderen einander die Hand reichen.

Ob Mann oder Frau, ob Grieche oder Jude, ob schwarz oder weiß, ob heterosexuell oder homosexuell, wir sind eins in Christus.

Diese Botschaft macht das eigene Leben leicht und klar, unbeschwert und einmalig.

Diese Haltung wird uns beflügeln und uns auch einmal über den eigenen Schatten springen lassen, wenn wir einem anderen um der Liebe willen die Hand reichen und ihr und ihm helfen, weiter zu wachsen, weiter zu denken, und unbekannte Gedanken in das eigene Leben einzulassen. Diese Botschaft müssen wir weitertragen. Es ist uns nicht egal, wenn Schwestern und Brüder in anderen Ländern diskriminiert und kriminalisiert werden wie in Russland, oder der Ukraine oder anderen Teilen dieser Welt.

Wenn wir nach diesem Gottesdienst uns einreihen in das bunte Treiben, dann tragen wir unsere Einmaligkeit und Würde im Herzen. Dies gibt Kraft, wenn es einmal steinig wird, weil Kummer und Leid uns belasten. Dies gibt Hoffnung auch über diesen Tag hinaus; eine Hoffnung, die ausstrahlt in die Community, in unsere Stadt, in unsere Gemeinden und Arbeitsbeziehungen.

So spricht der Herr: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein“. (Jesaja 43,1),

Amen.