Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch,
der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder
Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?
Aber all das überwinden wir leicht durch den, der uns geliebt hat.
Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
von Pfarrer Helmut Gottschling, ev.-luth. Gemeinde St. Lukas
Liebe CSD-Gemeinde,
Der erste Mensch, dem ich mich geöffnet und anvertraut habe, dem ich erzählt habe, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle – das Wort schwul traute ich mich damals noch nicht in den Mund zu nehmen – dieser erste Mensch war nicht meine Mama und nicht mein Papa. Der erste Mensch war auch nicht eine gute Freundin, ein enger Freund, oder meine Schwester. Der erste Mensch war mein Pfarrer, ein wunderbarer Mensch und strammer Pietist besonderer Prägung.
Mein Outing passierte nicht einfach in einem persönlichen Gespräch. Mein Outing fand in einer Einzelbeichte statt. Es war die erste in meinem Leben. Und sie gehörte neben regelmäßiger Bibellese und Gebetskreis nach dem Verständnis meines Pfarrers zu den Pflichten eines Christenmenschen.
Ich war 16. Gebeichtet habe ich mein Schwulsein damals nicht, weil ich mich so sündig und schlecht gefühlt hätte, sondern weil das für mich etwas ganz und gar Persönliches war, das ich bis dahin für mich behalten hatte. Aber vor Gott konnte und wollte ich das doch nicht verheimlichen.
Als es raus war, lief mein Pfarrer nicht schreiend davon, aber er holte sich pastorale Verstärkung, um über mir zu beten. Er war zuversichtlich, dass ich mit meiner stärkeren Sensibilität als Schwuler auch in einer Beziehung mit einer Frau glücklich werden könnte.
Er hat mich nicht zum Teufel gewünscht. Immerhin. Aber für mich fühlte sich seine Haltung als Gottesmann falsch an. Ich hatte das unerschütterliche Gefühl, dass Gott selber nichts gegen meine Gefühle hat. Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Christsein ist ein Wagnis. Davon können gerade Schwule und Lesben eine Geschichte erzählen - ihre Geschichte, ihre Erfahrungen mit dem Glauben und mit den Glaubensgeschwistern.
Das Gefühl, anders zu sein, mit den eigenen Empfindungen mutterseelenallein zu sein, das hat viele von uns geprägt. Dann die ersten zaghaften Schritte, sich zu öffnen, sich einem Menschen anzuvertrauen, es muss ja nicht wie bei mir gleich der Pfarrer sein - und zu erleben, wie das Gegenüber reagiert – manche hilflos, manche herzlich, manche abweisend, manche offen und interessiert.
Was für ein Glücksgefühl, sich nicht mehr verstecken zu müssen, sondern verstanden zu werden. Was für ein starkes Gefühl, mit den eigenen Empfindungen nicht allein zu bleiben, sondern Solidarität und Gegenliebe zu finden. Was für ein starkes Zeichen, dass der Staat nach langem parteipolitischem Gezerre die Ehe für alle möglich macht. Und was werden die Kirchen damit machen? Wann kommt endlich der Segen für alle in allen Kirchen?
Christsein ist ein Wagnis. Und bei diesem Wagnis blieben und bleiben verletzende Erfahrungen nicht aus: wer hat da nicht auch Blessuren davongetragen?
Statt Wertschätzung Verachtung, statt offenherziger Gespräche kaltherziges Schweigen und immer wieder dieses miese Gefühl, irgendwie nicht normal zu sein, krank oder sündig.
Sicher hängt es auch mit solchen Verletzungen zusammen, dass Glauben und Kirche in der Szene so ein schlechtes Image haben. Wer könnte es den so Gekränkten und Verletzten verdenken, wenn sie zum Christsein und zum Glauben a-dieu sagen. Ganz zu schweigen von den Regenbogengeschwistern rund um den Globus, die sich verstecken müssen, die verfolgt, gefangen und umgebracht werden, nur weil sie anders lieben und leben.
Aber gerade für die, die die hadern und für uns alle sind diese Worte wie gemacht:
ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes.
Diese Zeilen stammen von einem, der an seinem Körper, und wohl auch in seiner Seele viele Wunden trägt. Er ist damit gerade denen am nächsten, denen das Leben zu schaffen macht. Er sagt: Kummer, Angst, Verfolgung, Gefahr? Das alles kann uns zustoßen. Und er weiß wovon er redet: ein paar Mal war er im Gefängnis, Peitschenhiebe, Stockschläge, Schiffbruch, Hochwasser, Überfall, Flucht bei Nacht und Nebel, Hunger, Kälte, Verleumdung, Enttäuschung. Das alles hat dieser Paulus erlebt. Man fragt sich, wie ein Mensch das aushalten kann.
Ich frage mich, wie man das aushalten kann, immer in der Gefahr und Angst zu leben, entdeckt zu werden, verprügelt, verurteilt, verstoßen, getötet, nur weil ein Mensch homosexuell ist - in vielen afrikanischen Ländern, oder auch in Osteuropa ist das so.
Aber alle diese Nöte überwinden wir leicht, lese ich, weil Gott uns liebt. Dass das so leicht ist, kann ich nicht sagen. Aber dass man viel, vielleicht sogar alles tragen kann, weil Gott uns liebt, das glaube ich.
Ich sehe diese Liebe vor mir. Sie ist angerührt und umgetrieben von unserem Schicksal. Ich sehe einen verwundbaren Gott. Den, der der die höchsten und damit himmlischsten Sicherheiten hinter sich lässt, die ihn unerreichbar und unangreifbar machten hinter dem Schild seiner Heiligkeit. Und das alles legt er weg, alle Waffen, jegliche Rüstung. Und tritt unter uns, wie ein verwundbarer Mensch, und kann von Stund an bestaunt, aber auch verlacht werden, angerührt und angegriffen, bejubelt und bespuckt.
Nur Liebe kann das sein, das Gott dazu treibt. Denn Liebe macht sich verletzbar. Liebe hat eine dünne Haut. Liebe streckt sich mit allen, mit den zartesten Fühlern nach einem anderen aus. Man kann sie tief verwunden.
Nein, Paulus schreibt nicht: mir kann nichts passieren. Er erlebt aber am eigenen Leib: mich kann nichts aus den Händen dieser Liebe reißen. Ich bin geborgen. Verrückt ist das, aber wahr.
Ihr findet ein Papierherz in eurem Liedblatt. Geht dieser Frage für euch selber in der Stille kurz nach und schreibt auf das Herz, wer oder was diese Liebe Gottes für euch verkörpert.
- Stille/Schreibphase –
Was kann ich mir, was kann ich uns wünschen? Soll ich sagen: Ich möchte verwundbar sein? Aber das bin ich ja schon. Und mehr davon kann ich eigentlich nicht ertragen.
Es sei denn, ich werde geliebt. Fest und stark, sodass ich mich gehalten fühle. Ich könnte dann mutiger auf das zugehen, was auf mich zukommt. Nicht mit geschlossenen Fäusten, sondern mit offenen Händen.
Ich möchte lachen und mich freuen. Ich möchte, dass heute viele Menschen ausgelassen an der Parade teilnehmen können und auch am Abend händchenhaltend durch die Straßen dieser Stadt gehen können, ohne Angst haben zu müssen. Ich wünsche mir, dass endlich alle Menschen fröhlich Hochzeit feiern können, wenn sie das wollen, egal, wie sie lieben.
Und doch weiß ich gleichzeitig, dass es für all das keine Garantie gibt.
Paulus hat recht: vieles kann uns zustoßen. Wir sind vielfach verwundbar. Aber die Liebe ist das einzige, was einen Menschen dazu bringt, das Glück, aber auch das Schwere im Leben zu ertragen, wenn es sein muss. Diesen Halt brauchen wir alle.
Nehmt diesen Halt also symbolisch mit. Nehmt das Papier-Herz an euch, verwahrt es gut, und am besten ist es, ihr tragt dieses Herz in euren Herzen, bevor das papierene verschütt geht oder aus Versehen in der Wäsche landet.
Noch eine Bemerkung zum Schluss:
Paulus schreibt allerdings noch, dass das alles für die Auserwählten Gottes gilt. Also nicht für alle? Gegenfrage: Glauben wir wirklich, dass Gott an einem Verwundeten vorübergehen kann?