Oekumenischer CSD-Gottesdienst der schwul-lesbischen Szene in Muenchen

 

Bergpredigt statt Hasspredigt

Predigt 2024

von Pastoralreferent Gerhard Wachinger, römisch-katholischer queerGottesdienst

zu Genesis 50,15-21 und Matthäus 5,1-12 (siehe unten)

Was für eine Eröffnung: die vielen Menschen, weshalb er auf den Berg steigt. Er setzt sich, auf den Lehrstuhl, so ist es wohl zu verstehen, seine Jünger, seine Schüler treten hinzu. Er begann zu reden und lehrte sie. Wie in Zeitlupe wird jeder Moment erfasst. Und dann folgt das erste Wort wie ein Donnerschlag. Es lautet: glückselig.

Darum wird es in Jesu Verkündigung gehen, um die Glückseligkeit der Menschen. Keine Knechtschaft, keine Unterordnung, sondern ihre Glückseligkeit. Keine Bevorzugung eines Geschlechts oder einer Orientierung, einer Nation oder einer Hautfarbe, sondern ihre Glückseligkeit. Glückselig, die wissen, dass sie vor Gott arm sind, so wird es hier übersetzt. Das heißt doch, glückselig sind, die wissen, dass sie Gott brauchen, so wie ich zu meinem Partner sage: ich brauche dich, ohne dich ist mein Leben soviel ärmer. Mit dir fühle ich mich reich beschenkt und glücklich. Wenn wir so arm sind vor Gott, sind wir glückselig.

Gleich an zweiter Stelle stehen die Trauernden. Nicht die Traurigen, sondern die Trauernden. Ist das nicht das gleiche? Nicht ganz. Nicht das Traurig sein wird seliggepriesen, sondern das Trauern, das aktive Tun, das Trauern um einen lieben Menschen, der weggegangen ist, das Trauern um die vergebenen Chancen, die mein Leben hätten reich werden lassen, das Trauern um die Verletzung, die mir zugefügt wurde. Dieses aktive Tun des Trauerns wird seliggepriesen, denn durch das Trauern geschieht Heilung.

Glückselig, die barmherzig sind, die ein reines Herz haben, die Frieden stiften. Nur zu gerne wollen wir glauben, dass das stimmt, dass es diese Menschen sind, die die Erde als Erbe erhalten, Gott sehen und Kinder Gottes heißen. Nicht die Gewalttätigen, sondern die Frieden stiften. Und um ein Beispiel zu geben, haben wir den Abschnitt aus der Josefsgeschichte gehört.

Es geht um die Aussöhnung der Brüder. Sie haben sich an Josef versündigt, haben ihn gequält und verkauft. Sie selbst geraten in Not und sind auf seine Hilfe angewiesen. Welche Ironie: die sich an ihm versündigen, werden von ihm abhängig. Diese großartige Erzählung macht deutlich, wie Vergebung gelingen kann: indem Menschen erkennen, dass sie aufeinander angewiesen sind. So gelingt es: die Brüder sind nicht zu stolz, Josef um Vergebung zu bitten und er ist nicht zu stolz, ihnen zu vergeben.

Beeindruckend an der Geschichte ist v.a., dass sie schildert, wie schwer es allen Beteiligten fällt zu vergeben und um Vergebung zu bitten. Denn es ist verdammt schwer. Wir Menschen sehnen uns so sehr nach dem, was uns allzu schwerfällt. Glückselig zu werden, ist harte Arbeit.

Es ist möglich. Die Josefsgeschichte und die Seligpreisungen machen deutlich: Es ist möglich, dass Versöhnung gelingt. Es ist möglich, dass Frieden unter den Menschen wächst. Es ist möglich, barmherzig zu sein.

Ja, es ist schwer für Jüdinnen und Palästinenser, für Russen und Ukrainerinnen, für AFD-Anhänger und Migrantinnen. Und es ist schwer für Queers und Fundamentalisten, die den Namen Gottes für Homophobie missbrauchen.

Ja, es ist tatsächlich eine große Herausforderung. Sie kann gelingen. Und vielleicht können queere Menschen ja einen besonderen Beitrag leisten. Denn es ist unsere Erfahrung, dass sich unsere Mehrheitsgesellschaft geöffnet hat; dass sich der Einsatz für Toleranz und Akzeptanz lohnt; dass das selbstbewusste Auftreten in Gesellschaft und Kirche Erfolg hat.

Es ist Erfolgsmodell. Vielleicht können wir die Seligpreisungen weiterschreiben: glückselig seid ihr, wenn ihr euch daran freut, wie ihr von Gott geschaffen seid. Glückselig seid ihr, wenn ihr die Vielfalt im bunten Garten Eden wertschätzen könnt. Glückselig seid ihr, wenn ihr Vielfalt als Bereicherung erkennt.

Dann ist es vielleicht auch möglich, die schwerste Seligpreisung zu erfüllen: Glückselig seid ihr, wenn sie euch beschimpfen, verfolgen und verleumden, weil ihr zu mir gehört.

Lassen wir uns als queere Christ:innen nicht unterkriegen, treten wir selbstbewusst auf, denn wir haben eine Botschaft des Friedens für alle, die große Einladung Gottes für alle Menschen, ihr haben wir uns verschrieben, sie soll uns leiten am heutigen CSD und an alle Tage unseres Lebens.

Gen 50,15-21

Als Josefs Brüder begriffen,
dass ihr Vater tot war, bekamen sie Angst.
Sie dachten:
»Hoffentlich ist Josef uns gegenüber nicht nachtragend.
Sonst wird er uns all das Böse heimzahlen,
das wir ihm angetan haben.«
Darum ließen sie ihm mitteilen:
»Dein Vater hat uns vor seinem Tod aufgetragen,
dir zu sagen:
›Vergib deinen Brüdern das Unrecht und ihre Schuld!
Ja, sie haben dir Böses angetan.
Nun vergib ihnen dieses Unrecht.
Sie dienen doch dem Gott deines Vaters!‹«
Als Josef das hörte, fing er an zu weinen.
Da gingen seine Brüder zu ihm hin,
warfen sich vor ihm nieder und sagten:
»Wir sind deine Knechte.«
Aber Josef sagte zu ihnen:
»Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa Gott?
Ihr hattet Böses für mich geplant.
Aber Gott hat es zum Guten gewendet.
Er wollte tun, was heute Wirklichkeit wird:
ein großes Volk am Leben erhalten.
Deshalb fürchtet euch nicht!
Ich werde für euch und für eure Kinder sorgen.«
Er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Mt 5, 1-12

Als Jesus die Volksmenge sah,
stieg er auf einen Berg.
Er setzte sich und seine Jünger kamen zu ihm.
Jesus begann zu reden und lehrte sie.
»Glückselig sind die, die wissen,
dass sie vor Gott arm sind.
Denn ihnen gehört das Himmelreich.
Glückselig sind die, die trauern.
Denn sie werden getröstet werden.
Glückselig sind die, die von Herzen freundlich sind.
Denn sie werden die Erde als Erbe erhalten.
Glückselig sind die, die hungern und dürsten
nach der Gerechtigkeit.
Denn sie werden satt werden.
Glückselig sind die, die barmherzig sind.
Denn sie werden barmherzig behandelt werden.
Glückselig sind die, die ein reines Herz haben.
Denn sie werden Gott sehen.
Glückselig sind die, die Frieden stiften.
Denn sie werden Kinder Gottes heißen.
Glückselig sind die, die verfolgt werden,
weil sie für Gottes Gerechtigkeit eintreten.
Denn ihnen gehört das Himmelreich.
Glückselig seid ihr, wenn sie euch beschimpfen,
verfolgen und verleumden, weil ihr zu mir gehört.
Freut euch und jubelt! Denn euer Lohn im Himmel ist groß!
Genauso wie euch haben sie früher die Propheten verfolgt.«