Oekumenischer CSD-Gottesdienst der schwul-lesbischen Szene in Muenchen

 

männlich UND weiblich hat Gott dich geschaffen: wertvoll!

Lesung 2014

Galater 3,26-29

Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.

Predigt 2014

von Pfarrer Wolfgang Scheel

Liebe Freundinnen und Freude hier beim CSD-Gottesdienst 2014,

schon mal überlegt, Dir einen Clownfisch samt Aquarium zuzulegen – einen dieser so großartig bunten Fische, die in freier Natur in Korallen, z. B. im Great-Barrier-Riff in Australien, leben. Allgemein bekannt wurden diese Fische durch einen süßen Vertreter im Zeichentrickformat – ich meine natürlich: Nemo. Dank vieler von Nemo faszinierter Kinder stieg in den letzten Jahren der Verkauf von solchen Clownfischen sprunghaft. In einem Kommentar las ich schmunzelnd: Viele Eltern könnten nach dem Kauf ein zusätzliches Problem haben: Sie müssen ihren Kindern nämlich erklären, – dass Nemo – ein Transsexueller ist: Er hat das Potential beider Geschlechter in sich.

Da sind wir schon direkt beim Satz aus dem 1. Buch Mose, dem Buch Genesis 1,27, der im Mittelpunkt unseres diesjährigen CSD-Gottesdienstes steht: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, männlich und weiblich hat er sie erschaffen.“ Und auch von den Tieren lesen wir dasselbe in der Bibel.

Komisch – denkst Du Dir vielleicht – bisher habe ich es immer anders gehört, vor allem bei Hetero-Trauungen: als Mann und Frau hat Gott sie erschaffen. – Aber diese Übersetzung ist nicht richtig. Sie ist nur erklärbar aus einem ideologischen Vorverständnis, dass man nämlich alle Menschen in zwei Gruppen - „Mann oder Frau“ – einteilen könne. Im Hebräischen und ganz besonders auch in der griechischen Fassung im Neuen Testament stehen eindeutig die Eigenschaftsworte „männlich“ und weiblich. Das öffnet stattdessen nun den Raum für eine Vielzahl geschlechtlicher Persönlichkeiten. Männlich und weiblich sind Grundbausteine, Module des Lebens, aber keine sich gegenüberstehenden Personen. Männlich und weiblich sind Eigenschaften, die sich auch in einem einzigen Menschen verbinden können. Im 5. Kapitel (5,2) heißt es: Gott gab seinem weiblich-männlichen Geschöpf den Namen „Mensch“. Es ist der eine Mensch, der nicht in zwei Schubladen „Mann“ oder „Frau“ aufgeteilt werden muss.

So haben wir es gerade auch in der Galaterbrief-Lesung (Gal 3,26-28) gehört: Da gibt es nicht entweder Mann oder Frau. Dieser künstliche Gegensatz einer starren Alternative ist in Christus aufgebrochen.

Wir sind in einen freieren, vielfältigeren, queeren Horizont gestellt. Denn eigentlich hat jeder Mensch seine eigene Mischung, und es ergibt sich ein echt queerer Regenbogen der Geschlechter - gemäß dem Gesamt-Motto des heutigen CSD ein Regenbogen von körperlichen Geschlechtern, aber auch von Gender-Geschlechtern, also Verhaltens-Geschlechtern, und da auch noch einmal verschiedenste Körper und Verhaltensweisen in buntester Kombination unter uns Menschen.

Unser Freund Nemo jedenfalls spielt fleißig mit den Varianten „männlich und weiblich“, die Gott ihm geschenkt hat. Wenn sich ein Paar Clownfische gefunden hat, entwickelt sich überhaupt erst das Geschlecht bei ihnen. Bei einem Hetero-Paar sitzt immer der weibliche Fisch in einer See-Anemone. Wird sie gefressen – wie Nemos Mutter im Film – dann besetzt danach der Männliche die Anemone und – wird als Transsexueller zum körperlich vollständig weiblichen Fisch – das erschüttert jede homophobe Sichtweise aufs heftigste.

Männlich und weiblich hat Gott jedes Lebewesen geschaffen – gerade das ist natürlich. Dein Ich darf männlich und weiblich geprägt sein und Anteile von beidem haben.

Wie entsetzlich, dass Eltern bis zum letzten November aufgrund einer ideologischen Zweigeschlechtlichkeit oft gezwungen waren, den männlich-weiblichen Körper ihres intersexuellen Babys vom Chirurgen verstümmeln zu lassen. Jetzt kann endlich auch ein drittes Geschlechtsmerkmal eingetragen werden – ein lange überfälliger ethisch-moralischer Fortschritt.

Und das ist nicht nur eine Erkenntnis aus unserer Zeit. In einem über 1500 Jahre alten jüdischen Kommentar zu unserer Bibelstelle mit Namen „Genesis Rabba“ wird ein Rabbi mit Namen Jeremija Ben Eleasar zitiert, der lehrte: „In der ersten Stunde der Erschaffung des Menschen bildete Gott ihn als Androgynos: Wie es heißt, männlich und weiblich schuf er sie.“ Soweit der Rabbi aus der Antike.

Sind das nicht genug Hinweise, dass jeder von uns sich als Wunder fühlen kann – in derjenigen weiblich-männlichen Geschlechtsidentität, in der ihn/sie Gott geschaffen hat, – die sie/er sich nicht ausgesucht hat, – sondern die sich in ihr/ihm gemäß Gottes Anlagen entfaltet hat oder jetzt gerade entfaltet. „Ich danke Dir, Gott, dass du mich wunderbar/wertvoll geschaffen hast“, heißt es in Pslam 139. Und so haben wir auf unser Gottesdienstplakat „wertvoll“ geschrieben – passend zum CSD-Motteo: „Regenbogen der Geschlechter – wertvoll sind wir alle.“

Wie schade, dass Menschen - teilweise unter Berufung auf die Bibel und unter Benutzung einer falschen Übersetzung - Gottes Vielfalt einengen und zerstören wollen, – andere bestenfalls tolerieren, aber nicht akzeptieren und wertschätzen wollen. Da las ich das Motto einer dieser Demonstrationen gegen den neuen freiheitlichen Bildungsplan in Baden-Württemberg: „Stoppt die Gender-Ideologie.“

Wenn ich solche Schlagworte höre, dann steigt als erstes großer Zorn in mir auf, aber dann vor allem werden meine Seele und mein Verstand sehr lebendig. „Wer ist hier ideologisch? Und wer verletzt die Wahrheit, die Größe und die Freiheit Gottes?“ frage ich da offensiv zurück? Was bedeutet denn Ideologie? Einengung, und zwar meistens Einengung auf nur eine einzige Art des Fühlens und Denkens. Genau das beabsichtigen aber diese Demonstranten: Dass den Kindern in der Schule nur diese Möglichkeit als gut vor Augen gestellt wird: sich entweder nur als Frau oder Mann wiederzufinden verbunden mit nur einem erlaubten heterosexuellen männlichen oder weiblichen Gender-Verhalten. Alle, die sich anders fühlen, queer sind, z. B. weibliche und männliche Anteile miteinander in sich spüren - in welcher Art auch immer - sind ausgegrenzt. „Das ist Ideologie.“ „Eure Vorstellungen sind Sex- und Gender-Ideologie!“ können wir mit christlichem Selbstbewusstsein und kämpferisch zurückrufen.

Wir aber lassen uns auf dieses ideologische Niveau nicht herab. Wir wollen im Sinne des Schöpfers und im Sinne Jesu das Leben öffnen für die männlich-weibliche Vielfalt. Und von unseren Gegner selber nicht wertgeschätzt, – schätzen wir sie als Person aber dennoch wert, selbst dann wenn sie sich in klassisch-konservativer Weise als ganz männlich oder weiblich und heterosexuell erleben.

Wenn Du einen dieser Menschen kennst und ihm von unserem heutigen Predigttext und der befreienden Kraft unseres Glaubens erzählst und trotzdem nicht weiterkommst, dann, ja dann gibt es nur noch einen Ausweg: Anschauungsunterricht in Gottes Schöpfung. Wie? Schenk ihm einige Nemo-Clown-Fische, (natürlich samt mehrerer Seeanemonen als Lebensraum für männlich-weibliche Geschlechtervielfalt )

Amen.

Nachtrag:

Passend zur Predigt fand man in München an verschiedenen Plakatwänden und -säulen im April 2016 ein Werbeplakat des Tierparks Hellabrunn mit einem Clownfisch und dem Text:

'Nemo? ist inzwischen eine Frau!'
Clownfische werden als Männchen geboren und können während ihres Lebens auch zu Weibchen werden. Komm und entdecke weitere überraschende Fakten in Hellabrunn. - Die Vielfalt des Lebens erwartet Dich."